Wenn der Arbeitsplatz wegfällt: Die betriebsbedingte Kündigung im Arbeitsrecht

Umstrukturierungen, Kostensteigerungen, Umsatzrückgang, Kosteneinsparungen und andere krisenhafte Situationen führen häufig dazu, dass Unternehmen Arbeitsplätze abbauen und den Beschäftigten damit ein betriebsbedingter Verlust ihres Arbeitsplatzes droht.

Betriebsbedingte Kündigungen sind  auch ganz aktuell in Göttingen zu befürchten, nachdem Galeria Karstadt Kaufhof und Sartorius einen deutlichen Personalabbau angekündigt haben.

Beschäftigte sind in einer solchen Situation dem Arbeitgeberwillen jedoch keinesfalls schutzlos ausgeliefert.

Vielfach gilt: Das Kündigungsschutzgesetz

Das Kündigungsschutzrecht ist ein Kernelement des sozialen Arbeitsrechts. Sofern das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist (mehr als 10 Vollzeitbeschäftigte im Betrieb und Dauer des Arbeitsverhältnisses länger als 6 Monate) müssen Arbeitgeber:innen eine Kündigung nach dem gesetzlichen Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes begründen. Eine Kündigung muss entweder verhaltensbedingt, personenbedingt oder betriebsbedingt gerechtfertigt sein. Sonst ist sie unwirksam.

Auch müssen Kündigungen mit Schriftform und Bestimmtheitsgebot strenge formelle Anforderungen erfüllen.

Insbesondere die bei unternehmerischen Veränderungsprozessen drohende betriebsbedingte Kündigung ist für betroffene Arbeitnehmer:innen besonders problematisch. Hier kann das Arbeitsverhältnis gekündigt werden, ohne dass es überhaupt auf Gründe in der Person der Betroffenen ankommt.

Voraussetzung für den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung ist jedoch zunächst eine unternehmerische Entscheidung, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt. Sodann dürfen keine anderweitigen, zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen. Gegebenenfalls muss auch eine Sozialauswahl vorgenommen werden. Aus Rechtsgründen dürfen Arbeitgeber:innen nämlich die wegen Arbeitsplatzabbau zu kündigenden Beschäftigten nicht individuell persönlich auswählen. Es ist vielmehr eine Auswahl nach sozialen Kriterien zwischen all denjenigen Beschäftigten vorzunehmen, die die wegfallenden Arbeitsplätze nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten besetzen könnten.

Schwerpunkt der Verteidigung gegen eine betriebsbedingte Kündigung ist meist das Bestreiten des tatsächlichen Wegfallens des Arbeitsplatzes, das Aufzeigen weiterer Beschäftigungsmöglichkeit und die Überprüfung einer vorgenommenen Sozialauswahl.

Weniger erfolgsversprechend ist das Infragestellen der unternehmerischen Entscheidung selbst. Insofern betont die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung, dass Sinn und Vernünftigkeit der unternehmerischen Entscheidung nicht gerichtlich zu prüfen sind, da es Arbeitgeber:innen grundsätzlich zustehe, ihren Betrieb und ihr Unternehmen nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Wenn also eine unternehmerische Entscheidung getroffen wurde, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führt, so kann der Kündigung grundsätzlich nicht bereits mit dem Argument entgegengetreten werden, die unternehmerische Entscheidung sei nicht sinnvoll oder nicht notwendig. Schwerpunkt der Verteidigung ist in solchen Fällen vielmehr die Überprüfung, ob die unternehmerische Entscheidung tatsächlich zum Wegfall des Arbeitsplatzes führt und keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht.

Dieser Vorrang der unternehmerischen Entscheidung gilt jedoch nicht uneingeschränkt und darf nicht missbräuchlich verwendet werden, um eine an sich nicht rechtmäßige Kündigung auszusprechen.

Keine Willkür bei betriebsbedingten Kündigungen

In diesem Zusammenhang hat das Landesarbeitsgericht Thüringen im Jahre 2021 eine wichtige Entscheidung getroffen (Urteil vom 04.08.2021 zum Aktenzeichen 4 Sa 293/19).

Das Landesarbeitsgericht führt insofern aus, dass eine betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich auf eine unternehmerische Entscheidung gestützt werden dürfe, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führe. Diese  sei nicht auf sachliche Richtigkeit oder Zweckmäßigkeit zu prüfen. Das Landesarbeitsgericht betont allerdings, die unternehmerische Entscheidung, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führe, dürfe nicht offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sein. Eine unternehmerische Entscheidung, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führe, dürfe nicht nur deshalb getroffen werden, um bestimmten Arbeitnehmer:innen oder Beschäftigtengruppen zu kündigen. Wenn die unternehmerische Entscheidung alleine in der Kündigung von bestimmten Arbeitnehmer:innen liege, könne sie nicht zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung herangezogen werden. Der Verlust von Arbeitsplätzen müsse vielmehr die Folge einer vorherigen unternehmerischen Entscheidung sein.

Eine unzulässige unternehmerische Entscheidung ist nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zum Beispiel dann zu vermuten, wenn die arbeitgeberseitige Organisationsentscheidung, in deren Folge Arbeitsplätze wegfallen, zu einer Arbeitsverdichtung und Überforderung des verbleibenden Personals führe. Aus dieser Arbeitsverdichtung sei zu schließen, dass die Arbeit ja noch vorhanden sei und nun von den verbleibenden Beschäftigten miterledigt werden müsse. Da Arbeit und Arbeitsplätze gar nicht weggefallen seien, könne auch angenommen werden, dass es dem Arbeitgeber vielmehr direkt um die Kündigung von bestimmten Arbeitnehmer:innen gegangen sei.

Diese Entscheidung des LAG Thüringen ist sehr zu begrüßen, da sie die Möglichkeiten willkürlicher betriebsbedingter Kündigungen bei nur vorgeschobenen betrieblichen Notwendigkeiten unterbindet.

Kenntnis der Rechtslage hilft

In jedem Fall ergibt sich, dass die eigene Rechtsposition stets gründlich geprüft werden sollte, wenn Beschäftigte von einem betriebsbedingten Personalabbau betroffen sind, da sich oftmals zumindest die Möglichkeit eines Kompromisses mit Zahlung einer Abfindung verhandeln lässt. Eine solche Lösung, beispielsweise über arbeitgeberseits angebotene Freiwilligenprogramme, lässt sich jedenfalls besser verhandeln, wenn die Rechtslage gut bekannt ist.

 

17.03.2023

Hentschel Rechtsanwälte – Weil Ihre Arbeit Teil Ihres Lebens ist! 




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