Herausforderungen in der Corona-Krise: Digitale Beschlussfassung
Arbeitsrecht aktuell. In Göttingen, Kassel & bundesweit.
Die Corona-Pandemie stellt Betriebsräte, Personalräte, Schwerbehindertenvertretungen und andere Interessenvertretungen der Arbeitnehmer*innen vor ungeahnte und bislang nicht dagewesene Herausforderungen. Denn trotz der Krise sind die Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte nicht suspendiert, aber in der praktischen Arbeit sind die Betriebsratsmitglieder bereits vielfach an ihre Grenzen gestoßen. Denn: Soll und kann man trotz der Kontaktbeschränkungen überhaupt (Präsenz-)Betriebsratssitzungen abhalten und, noch wichtiger, Beschlüsse fassen? Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und am 23.04.2020 das Arbeit-von-morgen-Gesetz beschlossen und damit praktikable Lösungen für die Corona-Krise geschaffen.
Um die Arbeitsfähigkeit von Betriebsräten und weiteren betrieblichen Mitbestimmungsgremien sicherzustellen, können rückwirkend ab dem 1. März bis Ende des Jahres 2020 Sitzungen und Beschlussfassungen gemäß dem neu geschaffenen § 129 BetrVG per Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden. Diese Regelung gilt entsprechend auch für Ausschusssitzungen, die Einigungsstellen, Sitzungen des Wirtschaftsausschusses, für Betriebs- und Betriebsräteversammlungen sowie für Versammlungen der Jugend- und Auszubildendenvertretungen. In Zeiten von Arbeit 4.0 und der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche sollte das technisch längst kein Problem mehr sein.
Nach wie vor spielen jedoch die Grundsätze der Anwesenheit bei der Beschlussfassung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sowie der Nichtöffentlichkeit (§ 30 Satz 4 BetrVG) eine maßgebliche Rolle bei der Betriebsratsarbeit. Der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass die audio-visuelle Sitzung und Beschlussfassung außerhalb des Geltungszeitraums der Regelung (01.03.-31.12.2020) unzulässig ist und bleiben soll. Dementsprechend wird durch § 129 BetrVG die grundsätzliche Pflicht einer Präsenzsitzung nicht ausgeschlossen.
Bei der Frage, wie die Sitzung und Beschlussfassung erfolgen soll, kommt dem Betriebsratsvorsitzenden ein Ermessensspielraum zu. Es muss jedoch stets ein sachlicher Grund für eine digitale Sitzung und Beschlussfassung vorliegen – beispielsweise in Form öffentlich-rechtlicher Kontaktbeschränkungen. Dieser Grund sollte in der Einladung zu einer audio-visuellen Betriebsratssitzung aufgeführt werden. Handelt es sich nur um ein kleines Gremium und kann daher ein ausreichender Mindestabstand zwischen den Betriebsratsmitgliedern eingehalten werden, spricht dies für eine Präsenzsitzung. Gegebenenfalls können auch einige Betriebsratsmitglieder digital an der Sitzung teilnehmen, während andere vor Ort anwesend sind.
Findet eine audio-visuelle Betriebsratssitzung statt, hat das Gremium wegen des weiterhin gültigen Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit (§ 30 Satz 4 BetrVG) durch Ausschöpfung sämtlicher technischer und organisatorischer Mittel dafür Sorge zu tragen, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis erlangen können. Beispielsweise sollten sich die Betriebsratsmitglieder nur über eine verschlüsselte Verbindung einwählen und sich während der Sitzung in einem geschlossenen Raum aufhalten. Für die Video- oder Telefonkonferenz ist zudem eine Software zu verwenden, die den allgemein anerkannten Sicherheitsstandards entspricht.
Aus dem Gebot der Nichtöffentlichkeit resultiert auch das Verbot der Aufzeichnung der Betriebsratssitzung (§ 129 Abs. 1 Satz 2 BetrVG n.F.).
Statt der eigenhändig unterzeichneten Anwesenheitsliste, die dem Sitzungsprotokoll nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BetrVG beizufügen ist, ist die Anwesenheit der Betriebsratsmitglieder gegenüber dem Vorsitzenden in Textform zu bestätigen (§ 129 Abs. 1 Satz 3 BetrVG n.F.), also beispielsweise via E-Mail oder WhatsApp.
Die übrigen allgemeinen Bestimmungen finden weiterhin Anwendung, sodass beispielsweise die Schwerbehindertenvertretung und die Jugend- und Auszubildendenvertretung an den Betriebsratssitzungen beratend teilnehmen können (§§ 32, 67 BetrVG).
Fazit: Mit dem neu geschaffenen § 129 BetrVG reagiert der Gesetzgeber auf die Schwierigkeiten, die sich im Zuge der Covid 19-Pandemie für die Interessenvertretungen ergeben haben. Aufgrund der zeitlich beschränkten Geltung der Regelung und anhand des Gesetzeswortlauts wird jedoch deutlich, dass der Gesetzgeber audio-visuelle Sitzungen und Beschlussfassungen, die nach dem 31.12.2020 stattfinden werden, noch immer für unzulässig hält.
In der aktuellen Krise und aufgrund der damit einhergehenden Verunsicherung bei den Beschäftigten kommt Betriebs- und Personalräten die wichtige Rolle zu, gemeinsam mit dem Arbeitgeber schnelle und pragmatische Lösungen zu finden, die den Betrieb möglichst aufrechterhalten, jedoch nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die gemeinsame Erarbeitung ausgewogener Konzepte sowie gegenseitige Verantwortung und Fürsorge sind mehr denn je geboten.
Hierbei beraten und unterstützen wir die Interessenvertretungen der Beschäftigten gerne.
« Zurück zur Übersicht