Beweiswert einer AU-Bescheinigung – Was passiert bei Zweifeln?

14.02.2022

Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist eine wichtige sozialstaatliche Errungenschaft. Bei unverschuldeter Erkrankung besteht für Arbeitnehmer:innen keine Arbeitspflicht. Für einen Zeitraum von bis zu 6 Wochen erhalten sie dennoch ihren Lohn.  
 
In praktischer Hinsicht wird eine Erkrankung (juristisch: “Arbeitsunfähigkeit”) durch eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigung bzw. “gelber Schein”) nachgewiesen. Nach ständiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte kommt einer ärztlichen AU-Bescheinigung ein hoher Beweiswert zu. Dass eine AU-Bescheinigung jedoch nicht automatisch den Nachweis einer unverschuldeten Krankheit erbringt, war zuletzt mehrfach Gegenstand von arbeitsgerichtlichen Entscheidungen. 
 
So hat das Bundesarbeitsgericht erst kürzlich entschieden, dass eine unmittelbar nach Eigenkündigung der Arbeitnehmerin vorgelegte AU-Bescheinigung, die genau für den Zeitraum der Kündigungsfrist gilt, Zweifel an ihrer Richtigkeit begründen kann. Es kann in einer solchen Konstellation der Eindruck entstehen, dass die AU-Bescheinigung nur dazu dient, im alten Arbeitsverhältnis nicht mehr arbeiten zu müssen.  
 
Mit weiteren wichtigen Fragen des Beweiswertes der AU-Bescheinigung hat sich das Landesarbeitsgericht Nürnberg in einer aktuellen Entscheidung auseinandergesetzt (Urteil vom 27.07.2021, Aktenzeichen 7 Sa 359/20). 
 
Grundlage der Entscheidung war das Beschäftigungsverhältnis einer Arzthelferin in einer privaten Arztpraxis. Nachdem der Arbeitgeber für seine Beschäftigten Urlaub angeordnet hatte, widerrief er diesen Urlaub und forderte seine Beschäftigten zur Arbeitsleistung auf. Für den Zeitraum des ursprünglich bewilligten Urlaubs legten einige Beschäftigte sodann  AU-Bescheinigungen vor.  
 
Das Landesarbeitsgericht führte hierzu unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus, dass der grundsätzlich hohe Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttert sein kann, wenn die äußeren Umstände gegen eine tatsächliche Erkrankung sprechen. Im vorliegenden Fall nahm das Landesarbeitsgericht an, dass eine genau für den Zeitraum der ursprünglichen Urlaubsgewährung vorgelegte AU-Bescheinigung sehr zweifelhaft sei. Bei solchen Zweifeln ist es die Pflicht der betreffenden Arbeitnehmerin, diese Zweifel auszuräumen. Sie muss beweisen, dass tatsächlich eine Erkrankung vorgelegen hatte. Dieser Beweis gelang der betroffenen Arbeitnehmerin nicht. Deshalb bekam sie keine Lohnfortzahlung.  
 
In dem gleichen Verfahren musste sich das Landesarbeitsgericht auch mit einer Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit beschäftigen. Der betroffene Arbeitgeber hatte der Beschäftigten nach Vorlage der AU-Bescheinigung mit der Behauptung gekündigt, die Arbeitsunfähigkeit sei vorgetäuscht. Dies sei eine grobe Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis.  
 
Auch die Frage, ob die Kündigung berechtigt ausgesprochen wurde, entschied das Landesarbeitsgericht anhand der Beweispflicht. Es ließ die AU-Bescheinigung nicht als Beweis der tatsächlichen Erkrankung gelten. Das hieß aber nicht, dass auch eine vorgetäuschte Erkrankung bewiesen war. Vielmehr sei es bei einem erschütterten Beweiswert der AU-Bescheinigung Sache des Arbeitgebers, eine vorgetäuschte Erkrankung zu beweisen. Diesen Nachweis vermochte der betroffene Arbeitgeber nicht zu erbringen.  
 
Aus der Entscheidung des Landesarbeitsgerichte lassen sich eine Vielzahl von Erkenntnissen zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ableiten.  
 
Grundsätzlich bewirkt eine AU-Bescheinigung den Nachweis einer Erkrankung. Aus den zugrunde liegenden Umständen kann sich jedoch eine Erschütterung des Beweiswertes ergeben. In diesem Fall müssen Arbeitnehmer:innen das tatsächliche Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit beweisen. Behaupten Arbeitgeber, dass die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht sei, so muss auch dies bewiesen werden.  
 
Für betroffene Arbeitnehmer:innen ergibt sich in einer solchen Konstellation die Notwendigkeit, die tatsächlich bestehende Erkrankung durch ein ärztliches Attest oder eine ärztliche Stellungnahme nachzuweisen. Kann eine solche vorgelegt werden, ist der Beweis in der Regel erbracht.  

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